„Wir sehen den Menschen und sein Potential, nicht das Kranke“

07.12.2021

Zum 31. Dezember endet die fünfjährige Frist der durch den Landrat berufenen drei bisherigen ehrenamtlichen Patientenfürsprecherinnen Annette Richter aus Burgstädt, Karin Keul aus Hartha sowie Birgit Behne aus Kriebstein. Eingesetzt werden sie im Fachkrankenhaus Bethanien Hochweitzschen sowie in den sozialtherapeutischen Wohngruppen (STW) „Die Arche“ Waldheim, „Haus Weitblick“ Flöha, Seifersbach, „Haus Frankenberg“ und Stiftung Münch Neuhausen.

„Es handelt sich bei allen drei Damen bereits um die zweite Berufung für jeweils andere Einrichtungen nach Ablauf des ersten Fünf-Jahres-Zeitraums 2012 bis 2016. Ab dem 1. Januar 2022 besteht letztmalig die Möglichkeit, sich für eine Einrichtung als ehrenamtliche Patientenfürsprecherin berufen zu lassen, für welche die Frauen noch nicht tätig gewesen sind“, erläutert Matthias Gröll, Psychiatriekoordinator des Landkreises Mittelsachsen. Da Annette Richter das Ehrenamt aus Altersgründen nicht mehr fortführen wird, gibt es ihm zufolge Vakanzen in den Einrichtungen in Waldheim, Flöha und Seifersbach. Im Interview erzählen die bisherigen Patientenfürsprecherinnen, warum diese Aufgabe so wichtig ist, was diese ausmacht und ob Vorkenntnisse vonnöten sind.

Wie sind Sie dazu gekommen, sich als Patientenfürsprecherin zu engagieren?

K. Keul: In den 1990er habe ich einen Bekannten in der Fachklinik Hochweitzschen besucht. Es war eine spezielle Erfahrung, in solch einer Einrichtung zu sein. Ich habe bemerkt, wie gut es der Person tat, dass sich einfach jemand Zeit zum Reden genommen hat. Und dann habe ich mich in die Person hineinversetzt, die Bedingungen waren damals ja noch nicht so gut wie heutzutage. Der Besuch meines Bekannten war meine erste Begegnung mit einem psychisch Kranken. Als ich dann damals den Aufruf entdeckt hatte, dass Patientenfürsprecher gesucht werden, habe ich mich beworben.

A. Richter: Ich habe nach der Wende elf Jahre lang am Sorgentelefon gearbeitet. Da gab es eine ganz intensive Ausbildung und alle vier Woche Supervision in Wechselburg. Ich bin über die ehemalige Amtsärztin des Landkreises, Dr. Annelie Jordan, dazu gekommen. Sie hatte mich angesprochen, weil sie mich aufgrund dieser Vorerfahrung für geeignet hielt. Obwohl ich schon sagen muss, dass der persönliche Kontakt mit den Bewohnern beziehungsweise Patienten schon etwas anderes ist als der telefonische.

B. Behne: Ich hatte vor zehn Jahren auch gerade meine Praxis als Heilpraktikerin für Psychotherapie eröffnet. Mein Bruder war selbst ein einer Einrichtung für psychisch Erkrankte. Und ich habe festgestellt: Es fehlt etwas in der Mitte zwischen der fachlichen Seite und der persönlichen Betroffenheit. Nachdem ich den Aufruf entdeckt hatte, habe ich mich erkundigt, ob Konflikte zu meiner beruflichen Tätigkeit bestehen. Das ist nicht der Fall und so war ich zunächst in Waldheim und Seifersbach tätig.

Frau Behne sprach eben die möglichen Konflikte zu ihrer Tätigkeit an. Was darf man als Patientenfürsprecher tun und was nicht?

B. Behne: Patientenfürsprecher arbeiten nicht therapeutisch. Vielmehr haben wir ein offenes Ohr. Mir ist es wichtig, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie weder blöd noch verrückt sind, sondern dass ihre Sorgen, Ängste, Anliegen wichtig und sie keine Belastung für andere sind. Denn den professionellen Kräften in den Einrichtungen fehlt schlichtweg die Zeit, sich immer wieder anzuhören, dass die Person meint, zu wenig Taschengeld, zu wenige Zigaretten oder Ähnliches zu bekommen. Objektiv betrachtet sind das alles keine Dramen, für die Erkrankten allerdings schon. Ich gebe den Patientinnen und Patienten das Gefühl, gehört zu werden.

K. Keul: Genau, das offene Ohr und tröstende oder vermittelnde Worte das Wichtigste. Man darf nichts mitbringen und kein Geschenke annehmen, sollte sich nicht persönlich vereinnahmen lassen und Umarmungen oder Ähnliches sind auch nicht erwünscht. Mal eine Hand geben oder drücken ist natürlich in Ordnung.

A. Richter: Wir vermitteln zudem zwischen dem Betreuer und den Patienten. Und wenn es hart auf hart kommen sollte, verschaffen wir dem Bewohner auch Gehör im Landratsamt. Im Psychiatriekoordinator Matthias Gröll haben wir einen äußerst kompetenten Ansprechpartner.

K. Keul: Das stimmt. Wir wissen, dass wir Patientenfürsprecher ihn jederzeit anrufen können. Er nimmt uns wichtig und ernst und hat eine angenehme, ruhige Art. Wir drei haben auch Sitz und Stimme in der nach dem Sächsischen Psychiatriegesetz eingerichteten Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft des Landkreises.

Welche Eigenschaften sollte man mitbringen?

K. Keul: Empathie, Offenheit.

A. Richter: Sensibilität. Man sollte offen und fröhlich sein, den Betroffenen Mut machen. Und Toleranz ist auch ganz wichtig.

B. Behne: Und man sollte sich nicht ins „Drama“ mit hineinziehen lassen und bestimmte Aussagen der Bewohnerinnen und Bewohner, die den Erkrankungen geschuldet sind, nicht eins zu eins als richtig annehmen. Wir sehen zudem den Menschen und sein Potential, nicht das Kranke.

Wie viel Zeit sollte für dieses Ehrenamt eingeplant werden?

A. Richter: Für die Bewohner sind Strukturen wichtig. Deshalb legt man in der Regel in Abstimmung mit der Einrichtung feste Tage und Zeiten fest, die für einen persönlich gut passen. Für die Wohngruppe beziehungsweise Klinik fertig man üblicherweise einen Aushang an, um sich vorzustellen und dort weist man dann auf die Zeiten der Erreichbarkeit hin.

K. Keul: Ich war bis August noch voll berufstätig und habe deshalb bisher nachmittags feste Gesprächszeiten vor Ort angeboten.

Inwieweit hat Corona Ihre Arbeit eingeschränkt?

K. Keul: Bei mir in Waldheim und Seifersbach gab es keine Einschränkungen. Auf Berührungen oder Ähnliches soll man ohnehin verzichten – vom Handgeben vielleicht einmal abgesehen. Ansonsten hatte ich – unter Einhaltung der geltenden AHA-Vorschriften – weiterhin Zutritt.

B. Behne: Da man die Menschen am besten ohnehin dort abholen sollte, wo sie sich wohlfühlen, da sie sich dort am ehesten öffnen, gab es zum Beispiel Gespräche draußen in der Raucherecke. Aber prinzipiell gab es keine Einschränkungen. Es gibt regelmäßige Tests.

Wie schaffen Sie es, Erlebtes und Gehörtes zu verarbeiten?

K. Keul: Ich nutze schon die Heimfahrten im Auto, um mir gewisse Situationen nochmals zu durchdenken. Ich kann Sachen ganz gut mit mir allein ausmachen. Und ich versuche, immer etwas Positives abzuleiten.

A. Richter: Mir fällt das manchmal schwer, es nicht zu nah an mich heranzulassen. Mich bewegen zum Beispiel die jungen Menschen, die die Droge Crystal genommen haben, sehr. Schwierig wird es auch, wenn man unvermittelt auf einen Bekannten trifft. Das ist auch ein Grund, weshalb ich dieses Ehrenamt nun auch nicht mehr ausführen werde. Ich bin jedoch ein tiefgläubiger Mensch und Gebete geben mir Halt, Kraft, Trost und Zuversicht.

B. Behne: Ich habe bestimmte Rituale und meditiere viel. Einmal habe ich mich an meinen Mann gewandt, der ist Psychologe, um mir einen fachlichen Rat zu holen. Und ich kann Dinge gedanklich am Ort des Erlebten lassen.

Hintergrund:

In sozialtherapeutischen Wohngruppen leben Menschen mit einer chronisch psychischen Erkrankung, die durch einen Neurologen oder Amtsarzt bescheinigt ist. Ihnen wird vor Ort dabei geholfen, ihren Tagesablauf zu bewältigen. Feste Strukturen helfen ihnen dabei, Verantwortung für sich und die Gruppe zu erkennen und zu übernehmen. Ihnen soll somit ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben ermöglicht werden. Die Träger dieser Einrichtungen setzen sich für die Integration und Resozialisierung psychisch kranker Menschen in der Gesellschaft ein.

Das Fachkrankenhaus Bethanien Hochweitzschen betreibt die stationären Kliniken für Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie, Gerontopsychiatrie und Gerontopsychotherapie sowie Suchtmedizin. Die Zusammenarbeit mit Patientenfürsprechern ist in den Leitlinien für ein Therapieverfahren verankert.

Die Tätigkeit der Patientenfürsprecher regelt § 4 des Sächsischen Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG): „[…] Die Patientenfürsprecher prüfen Wünsche und Beschwerden der Patienten und beraten diese. Bei Bedarf vermitteln sie zwischen Patienten und Mitarbeitern der Einrichtungen. Die Patientenfürsprecher haben Zugang zu den Patienten. Stellen die Patientenfürsprecher erhebliche Mängel bei der Betreuung fest, denen nicht in angemessener Frist abgeholfen wird, informieren sie den Leiter der Einrichtung, den Träger sowie die Besuchskommission. […]“

Karin Kreul, Birgit Behne und Annette Richter (v. l.)